Who Cares?!

So waren zum Beispiel Arbeiten, die sich mehr auf Sorge von Menschen gerichtet haben, mehr auf Reproduktion, also eher im Privaten organisiert waren, und Arbeiten, die sich mehr auf Sachen bezogen haben, radikal voneinander getrennt. Und nicht nur voneinander getrennt, sondern man hat auch versucht, unterschiedliche Menschen heranzuzüchten, die für diese unterschiedlichen Tätigkeiten dann zuständig sein sollten, denen man auch unterschiedliche Charaktereigenschaften, Stimmen und Körperlichkeiten zugewiesen hat, sodass die ganze Gesellschaft gewissermaßen in zwei Teile gespalten war. Geschlechter wurde das genannt. Etwas, was ja wir kaum noch verstehen können und an das wir uns auch ehrlich gesagt sehr sehr ungern erinnern.¹

 
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Ein Blick zurück, aus der Zeit nach der Care-Revolution in die Vergangenheit von Reproduktionsarbeit und Zweigeschlechtlichkeit. Mit der Utopie einer Gesellschaft nach der Care-Revolution, die sich anhand von Sorgeverhältnissen und nicht anhand von Wirtschaftlichkeit organisiert, endet das Hörspiel „Who Cares?! – eine vielstimmige Personalversammlung der Sorgetragenden“. Diese Utopie scheint in Zeiten von Corona noch weiter in die Ferne gerutscht. Die Corona- Krise hat einen starken Gender-Impact, sie verfestigt die Prekarisierung von Sorge-Arbeit und re-traditionalisiert Geschlechter-Bilder. Während Männer uns die Krise erklären, werden sogenannte system-relevante Berufe zum Großteil von Frauen ausgeübt. Zuhause wie in der Öffentlichkeit sind es vor allem Frauen, die Sorge tragen, denn ohne bezahlte und unbezahlte Sorge-Arbeit ist keine Krise zu bewältigen. Wenn morgen alle Frauen, die privat und beruflich Sorge tragen in den Streik treten, dann bricht unsere Gesellschaft zusammen – und nicht nur wegen Corona. 

 
Franziska Kleinert arbeitet als Schauspielerin für Film und Theater und als Sprecherin fürs Radio.
Franziska Kleinert arbeitet als Schauspielerin für Film und Theater und als Sprecherin fürs Radio.

Sorge tragen am Theater bedeutet die ständige Wartung seiner Bestandteile aus feministischer Perspektive: Raum, Licht, Video, Ton, Sprache, Körper. Wir begreifen diese Bestandteile als Gewerke, die im geteilten Raum und in der geteilten Zeit des Theaterbesuchs in eine gleichberechtigte Auseinandersetzung treten. In dieser Sorge um das Theater gibt es keine höhergestellten Elemente, keinen vorgeschalteten Ausgangspunkt, der wie im konventionellen Sprechtheater den Text und den (meist männlichen) Regisseur in den Vordergrund rückt. Sorge tragen am Theater heißt Arbeit an einem geteilten Raum, in dem jede_r* Platz findet und an einer Demokratie der Mittel.

Im Hörspiel fragen wir danach, wie Frauen - die pflegen, erziehen, putzen, kochen und zuhören - klingen. Die Materialität der Stimme und ihre Modulation ist vielfältig einsetzbar, sie unterliegt einer Funktion und bringt Geschlecht hervor. Bewusst oder unbewusst, gern oder ungern, nehmen Frauen durch Timbre, Modulation, Tonfall, Höhe, Sprechtempo und Wortwahl oft sogenannte weibliche Rollenmuster an. Besonders im Bereich der Pflege- und Sorgearbeit sind Frauen nicht selten mit sexistischen Stereotypen und Erwartungen konfrontiert.

 
Laurette Rausch arbeitet als Gesundheits- und Krankenpflegerin in der Notaufnahme eines Krankenhauses.

Was Feministinnen schon immer fordern, wird in Corona Zeiten noch notwendiger: mehr Schutzräume für Frauen, Aufwertung von Care-Arbeit, ein gesellschaftliches Modell, in der die Frau nicht zum Kümmern bestimmt ist, Dekonstruktion von Geschlechterrollen. Die Krise zeigt, wie fragil Gleichberechtigung und alternative Sorgeverhältnisse sind und wie schnell stattdessen Kategorien wie Kleinfamilie, Nation, Verwandtschaft wieder strukturgebend werden. 

Sich Sorgen heißt also für uns Arbeit an einer Zukunft für alle, in der Gesellschaft wie auf dem Theater. Dazu zählt die Sorge für Kinder, Alte, Kranke, genauso wie die Selbstsorge, Sorge um die Gemeinschaft, für ein gutes Leben für Alle und für eine Überwindung von Sexismus, Rassimus, Klassismus, Ablemismus.

"Who Cares?!" ist eine Hommage an Frauen* in Sorge, die an einer feministischen Perspektive auf aktuelle und zukünftige politische Prozesse arbeiten, die nicht nur die Position von Frauen* schützen, sondern immer schon die Utopie einer Überwindung aller Binarismen, die unsere Gesellschaft zerrütten, fordern.

etwas, was ja wir kaum noch verstehen können und an das wir uns auch ehrlich gesagt sehr sehr ungern erinnern.“¹ 

 

Who cares? We care!

 

[1] Auszug aus dem Hörspiel „Who Cares?! – eine vielstimmige Personalversammlung der Sorgetragenden“

Care-Arbeiterinnen: Tanja Kämper, Laurette Rasch, Camilla Vetters und Billie Wernecke
Sprecherinnen: Claudia Urbschat-Mingues, Daniela Hoffmann, Franziska Kleinert, Birte Schnöink und Susanne Daubner
Weitere Sorgetragende: Bini Adamczak, Simone Dede Ayivi, Franziska Haug, Linda Kagerbauer, Anna Kellermann, Esther Schietinger, Konstanze Schmitt, Fraencis Funk, Narjes Gharsallaoui, Ida Kellermann, Anika Pichler, Nadia Quani, Emel Schattner, Johanna Castell, Verena Katz, Anika Marquart Stawrula Panagiotaki, Friederike Schmidt-Collinet, Bernhard Siebert und Lani Tran Duc

Besetzung: Dagmar Titz und Marc Zippel
Komposition: Katharina Pelosi 
Technische Realisation: Manuel Glowczewski und Sebastian Ohm 
Regieassistenz: Eva Solloch 
Regie und Text:  Katharina Pelosi, Katharina Speckmann und Rosa Wernecke
Dramaturgie und Redaktion: Michael Becker

Eine Produktion des Norddeutschen Rundfunks in Kooperation mit Deutschlandradio 2018.

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