Die Ausstellung „EMANZENEXPRESS_gemeinsam sind wir gemeiner“ im "atelier automatique" zeigte im Mai und Juni 2019 Beispiele feministischen Widerstands der 80er und 90er Jahre in Bochum. Julia Nitschke und Eva Busch forschten dafür intensiv in Bochumer Archiven und initiierten zahlreiche Gespräche und Begegnungen mit den Akteurinnen. In diesem Zusammenhang steht auch das folgende Interview, das die beiden mit den Macherinnen der Frauentischlerei „Kreischsäge“ führten.
EMANZENEXPRESS trifft Kreischsäge
Interview mit ehemaligen Gesellschafterinnen einer Frauentischlerei
Die Kreischsäge wurde 1987 von arbeitslosen Gesellinnen und Auszubildenden in Bochum gegründet. Die Betriebsform der Tischlerei war eine GmbH mit fünf Gesellschafterinnen, davon zunächst ein Meister, da keine Frau als Meisterin gefunden wurde. In den ersten zwei Jahren erhielt die Kreischsäge Förderung im Rahmen des Programms „Frauen in Männerberufen“. In den zehn Jahren bis zur Schließung 1997 schlossen dort insgesamt sechs Frauen ihre Ausbildung zur Gesellin ab und eine zur Meisterin.
Julia: Erzählt doch mal, wie es anfing.
Monika: Es gab einen Tischlerinnen-Stammtisch im damaligen Ahorneck in der Rottstraße in Bochum, also gar nicht weit von hier. Das muss 1985/86 gewesen sein. Da haben sich größtenteils arbeitslose Tischlerinnen aus dem ganzen Ruhrgebiet getroffen, die entweder noch in der Ausbildung waren oder wie ich eine Umschulung gemacht haben oder die regulär im Betrieb arbeiteten. Und dann haben wir uns die Horrorstories angehört, wie die zum Teil in den Betrieben behandelt wurden. Das war alles andere als lustig. Alle haben sich danach gesehnt, andere Arbeitsbedingungen zu haben oder überhaupt eine Arbeit. Einige Frauen haben sich dann zusammengetan und mit Unterstützung der Kontakt-Beratungsstelle „Frau und Beruf“ wurde ein Wirtschaftsplan entwickelt, der die Gründung der Frauentischlerei ermöglichte und eine zweijährige finanzielle Unterstützung sicherte.
Julia: Diese Buchhaltung ist ja ganz schön viel Arbeit. Habt ihr alle Büro gemacht, oder gabs da eine Person?
Monika: Ja, wir alle reihum. Aber es hat sich dann schon herausgestellt, dass diese Arbeit den Einzelnen unterschiedlich lag. Wir haben einmal die Woche Kollektivsitzung gemacht, nach Feierabend, privat zu Hause. Wir mussten ja alles lernen, zum Beispiel Buchführung. Damit haben wir schon viel Zeit verbracht.
Dagmar: …Na ja, auf jeden Fall haben wir ausgebildet, das war toll. Bei uns, haben wir gesagt, müssen die Azubis nicht die Werkstatt fegen, wie das oft üblich ist, die sind nicht fürs Aufräumen da, sondern sollen wirklich richtig gut was lernen. Dafür sollten sie einkaufen gehen und kochen. Und dann hat G. sich total aufgeregt, sie wollte nicht kochen. Wir meinten aber: Bei uns lernst du was, aber du musst dafür auch kochen. Ich hab ihr dann gesagt: Überleg doch mal, warum du nicht kochen möchtest. Das hat doch sicher damit zu tun, dass Hausfrauenarbeit nicht wertgeschätzt wird. Das ist mir so in Erinnerung geblieben, weil es so typisch ist, dass bestimmte Tätigkeiten nicht gern gemacht werden, weil sie keine Wertschätzung erfahren. Wir fanden das aber total wichtig mit dem Essen, weil es was Gemeinschaftliches ist und auch eine indirekte Lohnauszahlung.
Eva: Aber versteh ich das richtig, dass die Aufwertung der Hausarbeit etwas war, das euch wichtig war und das ihr im Betrieb auch so diskutiert habt?
Dagmar: Ich würd es eher andersrum sagen. Uns war die gute Versorgung wichtig und als gelernte Tischlerinnen, die die Aufträge machen müssen, können wir das nicht machen, das wär finanziell eine Katastrophe für den Betrieb. Aber die Azubis produzieren ja noch nicht so viel. Darum müssen die die Arbeit machen, die nicht so viel Geld bringt, diese unproduktive Arbeit, wie man sagt.
Monika: Ja, ich erinnere mich auch, dass uns das gemeinsame Essen sehr wichtig war. Dann ist auch mal jemand los und hat Eis geholt, das ist ja auch ein Stück Lebensqualität. Nicht die Produktivität oder Effektivität stand an erster Stelle, sondern das gemeinsame Arbeiten. Und dass es uns dabei gut geht. Das ist ein ganz schöner Luxus, aber damals wollten wir das und haben es so gemacht. Dafür haben wir ja auch wenig verdient. Es gab noch einen Männerbetrieb, der relativ gleichzeitig mit uns aufgemacht hat, und mit dem wir in gutem Austausch standen, und bei denen war das ganz klar: Da wurde geklotzt, da wurden Überstunden gemacht. Die haben sicher auch mehr verdient, aber das waren andere Prioritäten.
Dagmar: Ich hab immer gesagt, wir waren so privilegiert, weil wir auch keine Familien ernähren mussten. Das war mir schon ziemlich klar, dieses Lotterleben – das ist übertrieben, es war schon ne ordentliche Maloche –, die Jungs, die hatten ja alle Familie. Die haben ihre Aufgabe so verstanden: Sie mussten eine Familie ernähren. Da hast du einen ganz anderen Druck, einen Betrieb am Laufen zu halten. Bei uns gings darum: Wir verdienen so viel, dass wir einigermaßen zufrieden sind, machen uns die Arbeit einigermaßen angenehm, damit wir nicht acht Stunden oder mehr am Tag nur bäh sind, und haben dann also auf mehr Geld verzichtet.
Monika: Es hatte schon mit Familie zu tun, aber es war auch ein anderes Selbstverständnis von den Männern: Man arbeitet nicht für 1000 Mark! Uns waren andere Sachen wichtig.
Eva: Mich würde die überregionale Vernetzung interessieren, diese internationalen Treffen, die ihr hattet. Wie war da so die Stimmung, um was ging’s?
Monika: Na ja, international klingt so groß. Österreich war dabei, Linz. Eine von uns war dann auch mal ein Jahr in Linz und hat dort ausgebildet. Also es gab zweimal im Jahr diese regelmäßigen Treffen, in Frauenferienhäusern – Zülpich und Osteresch –, und dann gab’s parallel dazu noch die Treffen von den selbstverwalteten Betrieben. Die waren dann gemischt, aber davon haben wir auch profitiert.
Dagmar: Solche Treffen von baubiologischen Kollektivbetrieben gab´s auch spezifisch hier fürs Ruhrgebiet. Bei den Frauentreffen haben wir uns immer Themen ausgewählt und dazu erzählt, Erfahrungsberichte, Austausch, fahrende Gesellinnen, die berichtet haben. Es waren dann etwa 20-30 Personen, ein Wochenende.
Eva: Und der Fokus war dann die berufliche Praxis, oder ging’s auch um politische Positionierungen oder so?
Dagmar: Nee, weniger. Als Tischlerin mit eigenem Betrieb schwimmst du dann auch nicht mehr so weit raus ins Freie, dass du an politischen Positionierungen arbeiten kannst. Fällt mir zumindest gerade nichts zu ein. Ob wir mal irgendwelche Forderungen hatten? Daran kann ich mich nicht erinnern. Es ging mehr um die praktische Arbeit. Organisation, Kundenakquise, Azubis, wie die Einzelnen damit umgehen.
Monika: Ja, sag mal, warum wir aufgehört haben.
Dagmar: Bei uns allen war das ja unterschiedlich. Diese Sorge darum, den Betrieb zu erhalten und dann auch die Arbeitsplätze für unsere Azubis zu sichern, fand ich ne unheimliche Belastung. Es ist nicht einfach nur arbeiten. Und die anderen waren ja auch alle irgendwie am Limit. Dann entstand auch bei einigen der Wunsch, nochmal in andere Arbeitsbereiche zu gehen, nochmal was anderes zu machen.
Monika: Also es bröckelte dann so ab. Was mir aber dazu noch einfiel, also es gab bei uns schon die Möglichkeit, zwischendurch mal ein halbes Jahr freizumachen. Also die U. hat das zweimal gemacht und Schwangerschaften hatten wir auch. Das sind ja so Sachen, die den Betrieb belasten. Für die Einzelne ist das natürlich gut, aber wenn du ´nen kleinen Betrieb hast, dann ist das ne ganz schöne Belastung. Jede Frau, wenn die ausgefallen ist, die konnteste ja nicht einfach so ersetzen. Das war ein wichtiger Punkt.
Eva: Die mussten dann ja auch weiterhin bezahlt werden, im Mutterschutz oder so.
Monika: Genau. Aber einfach, dass die Person dann im Betrieb fehlte, das hat schon so eine Lücke gerissen. Mit dieser Dauerbelastung ist es mir auch so gegangen. Und irgendwann gab’s dann einen Punkt, an dem wir feststellten, wir müssen uns grundlegend verändern. Und wenn du schon acht Jahre zusammenarbeitest und eigentlich immer so lange diskutierst über irgendwas, bis ein gewisser Konsens da ist, bis alle sagen okay, das können wir mittragen. Das ist erstmal mühsam, aber man stellt sich auch aufeinander ein.
Eva: Was hat euch die Kreischsäge denn so mitgegeben, oder gelehrt?
Monika: Also für mich gab’s ein Gefühl, das mich wirklich nachhaltig beeindruckt hat, so ein Raumgefühl. Und zwar, wenn wir alle im Maschinenraum an verschiedenen Maschinen gearbeitet haben. Also jede hat ja immer einen eigenen Auftrag gemacht und nicht eine nur die Fräse, die andere nur die Säge bedient. Also jede hatte ihren Auftrag und je nachdem, welcher Arbeitsschritt gerade dran war, haben wir dann reihum an den verschiedenen Maschinen gearbeitet. Und dann gabs manchmal Situationen, wo wir mit mehreren im Maschinenraum waren, die Maschinen waren alle an – es war sehr laut, aber es war so eine besondere Energie da. Jede war selbstständig und hat ihren Kram gemacht, aber die anderen waren da. Und diese Präsenz, das hat mich irgendwie total gepackt. Man kann’s nicht so richtig beschreiben, aber das war echt. Ansonsten war es einfach ganz viel dieses Gemeinsame und die Vertrauensbasis, die wir hatten. Dass man nicht irgendwie rumlavieren musste: Wie kann ich meine Interessen durchsetzen, gibt’s da Konkurrenzen und so? Diese Basis, die fehlt mir heute oft.
Eva: So ein Grundvertrauen.