Die ArbeiterInnen verlassen die Fabrik / workers leaving the factory (again)

Katharina Gruzei

Ein Knistern und Knacken. Das Flackern der Leuchtstoffröhren lässt einen langen Gang aufblitzen. Der Gang leer und nüchtern, das Licht rhythmisch, wiederholend. Im Hintergrund noch andere Geräusche – Maschinen in der Ferne? Der Sound der modernen Fabrikarbeit? Die Nachwehen einer verlassenen Fabrik? 

Schauplatz des Films von Katharina Gruzei ist tatsächlich eine leerstehende Tabakfabrik in Österreich. Sind es die ehemaligen Mitarbeiter*innen der Nachtschicht, die langsam in das Bild der Kamera laufen, den Gang füllen – zunächst schemenhaft und einzeln, dann eine starke Gruppe bilden? Wohin ist die Arbeit verlagert worden, die sie einst hier ausgeführt hatten? Was setzt sie jetzt in Bewegung, was zieht sie den Gang entlang, nach draußen, wenn nicht mehr das Ende einer Arbeitsschicht?

Mit ihrer Arbeit kommentiert Gruzei die ersten Filmbilder der Geschichte, die vor über hundert Jahren von Auguste und Louis Lumière an ihrer Fabrik in Lyon gedreht wurden, und seitdem eine ikonische Wirkung entfalteten. Der Film „Arbeiter verlassen die Fabrik“ von 1895 [originaler Titel: La Sortie de L’Usine Lumière à Lyon] zeigt ArbeiterInnen – wie Gruzei mit ihrem Titel klarstellt sind es vor allem Frauen –, die nach getaner Arbeit, durch ein Werkstor strömen. In den Augen des Filmemachers Harun Farocki, der das Motiv in den 1990ern mit seiner Filmcollage durch die gesamte Filmgeschichte verfolgte, sollten diese ersten Kinobilder „vor allem zeigen, dass es möglich ist, in Bildern Bewegung wiederzugeben.“ Und weiter: „Von dieser ersten Vorführung bleibt zurück, dass alle zügig fortstreben, als zöge sie etwas fort.“

Mit dem Blick auf Katharina Gruzeis Experimentalfilm von 2012, wirken diese Sätze Farockis nach, verschieben den Fokus. Denn Gruzei scheint von Anfang an nach einer anderen Bewegung zu fragen. Einer Bewegung im politischen Sinne, die sich nicht allein von der Fabrik entfernt, ihr nicht nur den Rücken zukehrt, sondern sich anders in ihr positioniert: Die Arbeiter*innen ihres Films wirken nicht mehr als zöge sie etwas fort, als hätten sie es eilig, davonzukommen, sondern vielmehr als würden sie die Fabrik mit ihrer Anwesenheit und Haltung besetzen. Die Kamera blickt nicht, wie noch bei den Brüdern Lumière oder den vielen Ausschnitten aus Werksfilmen und Dokumentarfilmen, die Farocki collagierte, aus dem Auge der Fabrikleiter oder von scheinbar unbeteiligten Beobachtern auf die Szenerie, sondern ist mit den Arbeiter*innen, als Einzelne und als Gruppe. Gruzeis Kamera bewegt sich, sobald sich ihre Protagonist*innen in Bewegung setzen. Begleitet sie, stärkt sie. Ihre Arbeiter*innen versammeln sich zu Gruppenbildern, blicken uns als Betrachtende direkt an, bevor sie die Fabrik verlassen. Und fordern uns auf, zurückzublicken. So zeigt der Film Individuen, die sich im Rückblick auf die Arbeiter*innenbewegung wieder zusammenschließen könnten – mitunter gegen das ausbeuterische, kapitalistische Moment von „Fabrikarbeit“ – und in Solidarität mit den Arbeiter*innen an denjenigen Orten, an denen jetzt die Arbeit gemacht wird, die aus diesen Gängen bereits ausgezogen ist. workers leaving the factory (again)!

2012, Experimental Film, 35mm / HD 16:9 stereo sound, 11 minutes