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Vier Buchstaben, die nicht unterscheiden und doch alles markieren: boss. Woran Sie jetzt denken? – bis Sie anfangen die Portraitserie von Katrin Ribbe zu betrachten? Ohne dieses eine Wort ist zunächst schwer zu erkunden, was die neun Frauen verbindet. Alle blicken geradewegs in die Kamera, aus ihren je unterschiedlichen Umgebungen richten sie ihren Blick auf uns und zeigen nonchalant, dass sich unsere gesellschaftlichen Vorstellungen vom Boss-Sein überrumpeln lassen. Katrin Ribbe fotografiert eindrucksvolle Portraits von Frauen, fernab von den Idealen der Werbung, zeigt sie sie umgeben und aufgehoben von/in ihren Arbeitswirklichkeiten. boss erzählt uns von Frauen, die beruflich selbständig sind, ob als Freiberuflerinnen oder Inhaberinnen eines gewerblichen Betriebs – unabhängig von ihrer Tätigkeit, ihres Umsatzes, ihres Alters, ihrer vermeintlichen Herkunft treten sie uns gegenüber. 

Foto: Katrin Ribbe

Die Älteste von ihnen und Ideengeberin zur Serie steht in ihrem Laden und hat wahrscheinlich die Worte Gibt’s nicht, gibt’s nicht! auf den Lippen, denn vermutlich alles für den häuslichen Bedarf ließe sich in ihrem Shop finden. So lässt sich präzise weiter in die Welt der Frauen eintauchen: Lassen sich bei der Einen Faden und Nähmaschine im Hintergrund ausmachen, sind es bei der Anderen Werkbank, Schraubstock und Schere, bei der Nächsten eine Bühne mit Scheinwerfer, bei wieder einer Anderen ein Lager mit unzähligen Kartons und ebenso vielen Schuhen, oder zeigt die Portraitierte sich umgeben von schwerem Gerät mitten in einer Fabrik. Wenn man genau hinschaut, lässt sich auf einem der Portraits entdecken, zurückgenommen neben der uns anblickenden Frau, die römische Göttin für Gerechtigkeit, die Augen verbunden – wissend, dass ihre Zeit kommen wird.

Tina / Foto: Katrin Ribbe
Tina, 2004
Liu/ Foto: Katrin Ribbe
Liu, 2015
Ricarda / Foto: Katrin Ribbe
Ricarda, 2017
Mina / Foto: Katrin Ribbe
Mina, 2016
Roswhita / Foto: Katrin Ribbe
Roswitha, 2013
Heike / Foto: Katrin Ribbe
Heike, 2015
Andrea / Foto: Katrin Ribbe
Andrea, 2016
Ute / Foto: Katrin Ribbe
Ute, 2016
Heike / Foto: Katrin Ribbe
Heike, 2017

Ergänzend zu den Fotografien veröffentlichen wir an dieser Stelle Auszüge aus den Gesprächen, die Katrin Ribbe mit den einzelnen Frauen während ihrer Begegnungen geführt hat. Das Gesagte weist über die einzelnen Biografien hinaus und gibt Einblicke in Lebensläufe und einen beruflichen, manchmal auch privaten Status Quo der Frauen. 
 

„Entschieden habe ich mich für die Selbständigkeit, weil ich der Meinung war, dass ich das Zeug dazu habe. Aufgrund der Berufserfahrung, die ich zuvor gemacht habe: Die Dinge genauso gut, wenn nicht sogar besser zu machen als das, was ich erlebt habe.“

„...sodass ich für mich selbst nicht mehr vertreten konnte, dort leitungstechnisch [im Angestelltenverhältnis, Anm. d. R.] vertreten zu sein. Das führte dann dazu, dass ich die Arbeitsverhältnisse aufgelöst habe, das muss man schon so sagen. Ich war dann in einer Situation, für mich selbst zu entscheiden – da war ich ungefähr 41, 42 Jahre alt – wo geht jetzt mein Lebensweg hin? Was mache ich weiter?“ 

„Ich denke, mit sehr viel Engagement und Energie – die braucht man auf jeden Fall, auch Durchhaltevermögen – schafft man es auch ganz gut, in die Selbständigkeit zu kommen. Meines Erachtens ist es so: wenn man die Entscheidung trifft, so eine Einrichtung zu führen, wo auch Mitarbeiter eine Rolle spielen – allein schafft man das überhaupt nicht – weiß man einfach gar nicht, worauf man sich einlässt. Es ist das Risiko und die Verantwortung und die ganzen Nebenbaustellen, die sich dann auftun. Dessen ist man sich am Anfang gar nicht bewusst – ist glaube ich auch gut so! Sonst würde man es niemals machen.“

„Momentan haben wir 2 Männer bei uns. Die machen den Fahrdienst. Und in der Betreuung sind wir Frauen. 6 Frauen.“

 „Wir haben im August geöffnet. Und auch um den Vertrag mit dem Geld gebenden Institutionen zu halten, ist meine Mutter mit eingestiegen. Ich hatte Glück und gute Unterstützung.“ 

„Man könnte es kurz sagen. Die Idee war: Das, was die können, das kann ich auch, und zwar schon lange. Und ich bin der Meinung, sogar auch besser.“

„Die Dinge, die am alten Arbeitsplatz, wo ich beschäftigt war, im Argen lagen, wären aus meiner Sicht ohne Weiteres positiv zu verändern gewesen. Man hätte sie einfach nur anpacken müssen. Das fand aber nicht statt. Deshalb schoben sich die Dinge auf, und letzten Endes und schließlich krankte das ganze System im Betrieb daran. Das wäre aus meiner Sicht nicht notwendig gewesen. Und das hat mir Mut gemacht, weil ich dachte: Das kriege ich hin! Diese Probleme, die da sind, die kann man lösen. Und auch für alle positiv lösen. – Das war etwas, das ich sehr gut fand: ein Arbeitsklima schaffen. Dass wir also alle harmonisch miteinander umgehen. Oder wir versuchen, wenn Unstimmigkeiten da sind, die aus dem Weg zu räumen.“

„Es ist natürlich eine subjektive Wahrnehmung, ob man als Frau mehr Energie braucht. Meine Empfindung ist: schon. Man braucht ein sehr starkes Auftreten. – Ganz spannend sind diese Bankgespräche gewesen. Für die Aufnahme des Unternehmens brauchte ich natürlich einen Kredit. Und wenn man dort hingeht als Frau – als alleinerziehende Mutter mit Kind, wo nicht viel in der Hinterhand ist, nur eine Idee – dann muss man schon sehr klar sein. Auch in seiner Person darstellen, dass man weiß, was man tut, dass man weiß, welche Risiken es gibt und dass man eine Idee hat, wie man mit diesen umgehen möchte. Um letzten Endes zu überzeugen, dass es eine gute Idee ist, dass man einem das Geld gibt.“

„Es ist schon heftig. Da bleibt natürlich auch etwas auf der Strecke. Einerseits für mein Kind, andererseits für einen selbst natürlich auch. Weil im Vordergrund steht sozusagen die Existenzgründung. Es heißt ja „Existenz“, mit der steht und fällt ja letzten Endes alles. Es gab den Kindesvater, der sich auch gekümmert hat, und es gibt eine Oma und einen Opa, die präsent sind. Aber es lag natürlich die ganze Aufmerksamkeit sehr geballt auf dieser Existenzgründung. Jetzt, nach ungefähr 2 Jahren, kann ich sagen, dass es sich die Waage hält.“

„Aber das ist die Lebenssituation, ich hatte das vor kurzem erst als Thema: Wenn wir hier fertig sind, gehen wir nach Hause, machen den Haushalt, das Kind, und dann erst kommen unsere eigenen Bedürfnisse. Als alleinerziehende Mutter ist keiner da, der da was abnimmt. Entweder man macht das selbst, oder keiner. Und das in ein Gleichgewicht zu kriegen, das ist gar nicht so einfach. Also ich hätte mir das auch anders gewünscht. Aber ich kann jetzt nicht darauf warten, dass irgendwas passiert. Es ist ja mein Leben und ich bin nicht unglücklich. Und es macht eher auch stolz, wenn man das geschafft hat. – Es gibt einem Kraft, aber an anderer Ecke ist auch ein bisschen was liegen geblieben. Einfach ist das nicht.“

„Die Zeit ist wirklich begrenzt. Der Tag hat halt nur vierundzwanzig Stunden. Und dann die Entscheidung zu treffen: Wie teilt man das letzten Endes auf? Mittlerweile, in dem letzten Jahr, war mir das auch ganz wichtig, für mich Zeit zu haben. In Form von Sport. Oder es gibt ein Treffen mit den Frauen, freitags sechzehn Uhr, das steht sozusagen. Und von außen mag das auch angemerkt werden: dass mir das wichtiger ist als alles andere. Und: Ja, das sind meine 2 Stunden, die sind mir wichtig, und die will ich mir auch gönnen, um aus diesem gedanklichen Korsett rauszukommen. Man braucht das unbedingt. Sonst ist man nur mit Dingen beschäftigt, die nicht erledigt sind, die noch auf den Weg gebracht werden müssen ... und man kommt gar nicht zur Ruhe. Ich finde, das ist ein totaler Unterschied zwischen Selbständigkeit und Angestelltenverhältnis.“

„Mit der Selbständigkeit und mit dem Boss steht und fällt alles mit einer Person. Man darf sich das gar nicht so bewusst machen, sonst ist das so eine Last. Aber trotzdem darf man es meines Erachtens auch nicht außen vor lassen. Wenn es läuft, macht es einen stark und wenn es nicht läuft, macht es Angst.“

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„Als ich anfing zu lernen, war mir noch nicht klar, dass ich Boss werden will. Ich habe Kindergärtnerin gelernt und mit vielen Frauen zusammengearbeitet und habe mir überlegt: das ist hier gar nicht meine Baustelle. – Wegen dieser Hierarchie.“

„Ich war unglücklich und wusste gar nichts mehr. Ich wusste bloß, in dieser Kneipe – nicht in dieser Kneipe, überhaupt in einer Kneipe – wollte ich nicht mehr arbeiten. Ich wusste eigentlich nichts. Also bin ich erstmal zu Hause geblieben. Das hat keiner verstanden. Weil ich ja viel Geld verdient hatte. Ich hatte auch viel Trinkgeld. Und trotzdem war das für mich vorbei. Also Kneipe würde ich heute, mit Mitte fünfzig, jederzeit pauschal mal so aus Spaß machen. Weil das ‘ne schöne Zeit war. Aber als Job war es für mich vorbei. Ich wusste bloß, ich wollte nix mehr mit ‘nem Chef machen. Dass ich mein eigener Chef sein werden wollte. Aber was das werden sollte, davon hatte ich keine Ahnung.“

„Ich hatte gemerkt, dass das nicht so meins ist, mich so unterzuordnen. Mich in solchen Hierarchien klein zu machen. Ich wollte was machen, was ich für mich mache. Einfach so. Es hätte auch schiefgehen können. Man weiß es ja nie. Aber darüber habe ich mir damals keine Sorgen gemacht. Überhaupt nicht. Dann wär’s eben schiefgegangen. Hätt‘ ich was Neues gemacht. Das ist natürlich heute – fünfundzwanzig Jahre später – was anderes. Weil die Zeit sich verändert hat, natürlich. Vor fünfundzwanzig Jahren konntest Du alles machen. Hättest alles machen können.“ 

„Nun bin ich ja nicht Boss von dreißig Mitarbeitern. Ich habe ja nur eine. Mich und meine Kollegin. Die hat früher vierzig Stunden gearbeitet, arbeitet mittlerweile nur noch zwanzig Stunden. Und ist schon seit zwanzig Jahren bei mir. Also die ist schon ganz lange da. Und natürlich ist es wichtig, dass man miteinander kommuniziert. Ansonsten wird das nichts. Ich weiß nicht, ob ich so viele Mitarbeiter haben wollte. Dazu hätte ich wahrscheinlich keine Lust. Denn ich hätte gar keine Zeit mehr für den Laden. Weil der lebt natürlich auch durch mich. Und durch sie. Darum war’s mir auch von Anfang an wichtig, dass ich einen Kollegen oder Kollegin finde, wo ich denke, wir schaffen das beide zusammen. Und mittlerweile sind wir schon so lange zusammen, bevor meine Kollegin was sagt, weiß ich schon, was sie sagen will. Also wir verstehen uns auch wirklich blind. Es gab auch ganz andere Zeiten, wo wir uns nicht so gut leiden konnten. Aber da haben wir dann drüber gesprochen. Da gehören auch immer 2 dazu.“

„Wofür ich Zeit brauchte, dafür habe ich mir welche genommen. Und das hat auch immer funktioniert. Klar verbringt man viel Zeit in einem Laden. Aber wär‘ ich irgendwo angestellt, müsste ich da auch Zeit verbringen. Ich habe immer darauf geachtet, dass der Laden nicht zu kurz kommt und mein Zuhause nicht zu kurz kommt.“
 


Text: Fanti Baum

Interviews: Katrin Ribbe